Sebastian Sailer (1714-1777) war der erste Dichter, der die
Mundart seiner Heimat nicht nur als Beiwerk zu wirkungsvollen Pointen,
sondern bewusst als Literatursprache einsetzte. Johann Valentin
Sailer, Sohn eines Fuggerschen Amtsschreibers, stammte aus Weißenhorn,
besuchte in Roggenburg die Lateinschule, trat im Alter von 16 Jahren
in das Stift des Prämonstratenserordens in Obermarchtal ein
und erhielt den Klosternamen Sebastian.
Mit 24 Jahren wurde er zum Priester geweiht,
war zunächst Lehrer des kanonischen Rechts an der Ordenshochschule
in Obermarchtal und ab 1740 Pfarrer in Reutlingendorf und Dieterskirch
(1757-1773). Ein Schlaganfall zwang ihn zur Rückkehr ins Kloster,
wo er wenige Jahre später starb. Sebastian Sailer verfügte
über ausgezeichnete Sprachkenntnisse, las griechische, französische,
italienische und spanische Werke im Original und stand im Briefwechsel
mit der internationalen Gelehrtenwelt.
Er verfasste Gebetbücher und eine Klosterchronik zum 600-jährigen
Klosterjubiläum ("Das Jubilierende Marchtall", 1771). Sailer
war nicht nur als Gelehrter, sondern auch als Prediger berühmt.
Er sprach von der Kanzel herab, wie ihm und seinen Zuhörern
der Schnabel gewachsen war und schaffte es, dass die Bauern ihn
beachteten. Dies war nicht leicht bei den eigenwilligen Dickschädeln,
die mit ihrer Bauernschläue den Pfarrer zu übertrumpfen
versuchten.
Pater Sixt Bachmann überlieferte die Anekdote: "Ein Bauer,
der sich besonders klug zu seyn dünkte, sagte einst zu Pater
Sailer: "Ei, Herr Pfarrer! Ich habe schon sehr oft gehört
dass Gott für jeden Menschen des Tages eine Maaß Wein
erschaffen habe. Ich bekomme aber diesen Wein nicht und weiß
auch nicht, wer ihn trinkt." Sailer sprach: "Auch ich
habe gehört, dass Gott für jeden Mann ein Weib geschaffen
habe, und dennoch habe ich keines. Ich will euch die Sache erklären.
Ihr habt mein Weib, und ich trinken eueren Wein."
Kein Wunder, dass der Bauernpfarrer schließlich als beliebter
Prediger durch Süddeutschland, Schweiz und Mähren zog;
eine Einladung an den Hof in Wien 1766 wu�te er als hohe Ehre zu
schätzen. Seine Komödien, "die Spiele seiner guten Laune",
geben seinen Witz, seine Treffsicherheit und seine Ausdruckskraft
am besten wieder. Sie kreisen um biblische Figuren und Geschichten:
der Erstling "Die Erschaffung des Adam, dessen Aufnahme im Paradies,
Schuld und Strafe" (1743), bekannt als "Schwäbische Schöpfungsgeschichte",
"Die schwäbischen heiligen drei Könige" und "Der Fall
Luzifers", der auch andere Mundartsprecher wie Goethe "höchlich"
ergötzte.
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Sailer führte diese Singspiele an Sonntagnachmittagen im Wirtshaus
selbst auf, trug vor, sang Arien, spielte dazu die Fiedel, sich
selbst und seinen Bauern zum Vergnügen. Er verfasste diese
burlesken Kom�dien ohne literarischen Ehrgeiz, und sie wurden zu seinen
Lebzeiten auch nicht gedruckt. Erstaunlich ist die naturgetreue
Mundart, die nicht an die neuhochdeutsche Schriftsprache angeglichen
wurde. Verblüffend auch die genaue Menschenkenntnis und die
Übertragung der geistlichen Inhalte auf das Denken der schwäbischen
Bauern.
"Im Anfang war das Wort", übersetzte
Martin Luther. Bei Sailer hei�t dies: "Nuits ischt Nuits und wead
Nuits weara, drum hau-n-i wölla a Wealt gebäara". Die
Arie Gottvaters, die Eduard Mörike gern zitierte, beginnt mit
dem, was er nun alles geschafft hat, und zwar "Auhne Hammer, auhne
Schlegel". Adam (Gottvaters "liabs Odamle") stellt die Menschheitsfrage:
"Wohear tu-r-i kumma?" Gottvater bückt sich, deutet auf einen
Pilz und antwortet schlicht: "Siehscht, dô uß deam Pfifferling/
hau-n-i di, eh du g'schnappat/ z'semma kloibat, z'semma bappat".
Und schimmert beim Klagelied Evas nach der Vertreibung aus dem Paradies
nicht die Mühsal einer geplagten Bäuerin durch: "Ui jeggerle,
was fällt ui ei...".
Der Kulturrat des Schwäbischen Albvereins
ehrt mit der Sebastian-Sailer-Medaille Mundartautoren, die mit ihrem
Wortwitz, ihrer Ausdruckskraft und ihrer Darstellungsgabe die schwäbische
Mundart lebendig und geistig anspruchsvoll nutzen.
Sieben herausragende Mundartautoren wurden bislang mit der Sebastian-Sailer-Medaille
geehrt: Helmut Pfisterer (2002),
Manfred Rommel (2005) sowie
Fritz Schray und
Egon Rieble (beide 2008),
Sigrid Früh (2011),
Rudolf Paul (2014) und
Helmut Eberhard Pfitzer (2022).
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